„Das Visier heruntergekippt, blicken die Männer in das Auge des Vulkans. Vor ihnen ergießt sich wie Lava ein Sturzbach flüssigen Eisens aus dem Stahlpanzer des Hochofens. Es lodert dabei, züngelt, gleißt, qualmt und zischt, ehe sich die wabernde Masse als glühendes Reptil durch eine Sandrinne schlängelt und schließlich fauchend in eine gigantische Pfanne kippt." Mit diesen anschaulichen Worten schilderte der Journalist Jürgen Schreiber am 24. Oktober 1981 für die Frankfurter Rundschau die Arbeit am Wetzlarer Hochofen. Der Anlass für diese Reportage: Sein Erkalten für immer stand in diesem Herbst unmittelbar bevor.

Das Ende einer Technologie, die sich über wenigstens zweitausend Jahre entwickelt hatte, war damit im Lahn-Dill-Kreis eingeläutet. Gut dreizehn Jahre vorher hätte Schreiber die von ihm beschriebene Szenerie dreißig Kilometer nördlich von diesem Standort auch noch vorfinden können. Im Oberschelder Hochofen wurde seit 1905 fast pausenlos das in der unmittelbaren Nachbarschaft geförderte Eisenerz geschmolzen, bis er im Frühjahr 1968 endgültig erlosch und niedergelegt wurde.

In den gut sechs Jahrzehnten dazwischen hatte mit der Oberschelder Anlage diese uralte Technologie, die sich im Lahn-Dill-Bergland über die Jahrhunderte stetig weiter entwickelt hatte, ihren Höhepunkt erreicht. Sie war das Bindeglied zwischen dem Bergbau und den vielen Fabriken, in denen das Eisen zu Zwischen- und oft genug auch zu Endprodukten weiterverarbeitet wurde. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg waren in den Gruben, am Hochofen und in der eisenverarbeitenden Industrie Zehntausende von Menschen beschäftigt. Das Wirtschaftsleben unserer Region war damit nahezu restlos dominiert. Alle anderen Branchen fielen in den Wirtschaftsstatistiken jener Jahrzehnte unter die Rubrik „ferner liefen".

Dabei war die Tradition der Eisenverhüttung im Land zwischen der Dill und der oberen Lahn schon einmal niedergegangen, im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Zur vorletzten Jahrhundertwende war sie völlig zum Erliegen gekommen. Hätte damals nicht unternehmerische Weitsicht zum Bau des Oberschelder Hochofens geführt, hätte sie vielleicht damals schon ihr vorzeitiges Ende gefunden.

Seit dem Ende des Mittelalters hatte das Schmelzen des Erzes wichtige technologische Fortschritte erfahren. Immer größer waren die Öfen geworden, die die Hüttenleute mit Eisenerz und mit Holzkohle bestückten, um unter großer Hitze das wichtige Eisen zu erzeugen. Das hatten sie vor allem der Tatsache zu verdanken, dass sie gelernt hatten, mehr Sauerstoff zuzuführen. Waren die Waldschmiede in der Frühgeschichte, aber noch bis weit ins Mittelalter hinein, auf die Luftbewegungen an den Hängen angewiesen, setzten die Hüttenleute später große Blasebälge ein, die über Wasserräder angetrieben wurden. So änderten sich auch langsam die Standorte: von den waldbestandenen Hängen unserer Mittelgebirge, die den Waldschmieden ihren Namen gaben, hinunter zu den Bachläufen an den tiefsten Punkten der Täler.

Was über all die vielen Jahrhunderte gleich geblieben war, war der Energieträger: Holzkohle, die von den Köhlern überall in den heimischen Wäldern in den Meilern hergestellt wurde. Doch mit dem Jahre 1862, als die Eisenbahn Dillenburg an die große weite Welt anschloss, war schlagartig für die heimische Eisenindustrie alles anders geworden. War es auf der einen Seite von Vorteil, dass man nun mit dem Verkehrsmittel die heimischen Erze auch an die fern gelegenen Hütten verkaufen konnte, so wurden die holzkohlebetriebenen Hochöfen unserer Heimat jetzt dem Wettbewerb mit denjenigen ausgesetzt, die mit einem neuen Energieträger arbeiteten: dem Koks, der aus der Steinkohle des Ruhrgebietes gewonnen wurde.

Das machte den heimischen Hütten, die zum Teil seit Jahrhunderten auf den gleichen Standorten den begehrten Rohstoff hergestellt hatten, nach und nach den Garaus. 1898 wurden in Eibelshausen und in Burg die letzten „hohen Öfen" ausgeblasen, die noch mit Holzkohle befeuert wurden, die die Köhler in einem mühseligen Prozess, zuletzt meist am Rande der Hauberge an den Oberläufen von Dill und Dietzhölze, herstellten.

Probleme schuf dies vor allem für ein Unternehmen, das sich bis dahin im Montan- und Hüttenwesen zu dem bedeutendsten im Land an der Dill entwickelt hatte, dem Hessen-Nassauischen Hüttenverein. Seither war der Produktionsablauf in diesem Unternehmen ein lückenlos geschlossener gewesen: von dem Eisenerzbergbau über die Verhüttung bis zur Eisenverarbeitung. Das Familienunternehmen baute weiterhin Erze ab, überwiegend in seinen Gruben im Schelderwald, aber musste es jetzt ausschließlich an fremde Hütten verkaufen. Andererseits mussten die Erben dieses Johann Jakob Jung, der sich im Jahre 1847 im oberen Dietzhölztal selbständig gemacht hatte, jetzt ihr Roheisen auf dem Markt beziehen, um es in ihren Betrieben zu den verschiedenen Produkten weiter verarbeiten zu können.

Erst mehr als ein halbes Dutzend Jahre später wurde diese Lücke wieder geschlossen, nämlich mit dem Anblasen des Oberschelder Hochofens. Die über zweitausend Jahre alte Tradition der Eisenverhüttung, die um 1900 fast schon ihr vorzeitiges Ende gefunden hätte, sollte noch einmal für mehr als sechs Jahrzehnte fortbestehen - und mit der neuen „Hütte" zu ihrem technologischen Höhepunkt kommen.

 

Kelten waren die ersten Hüttenleute im Lahn-Dill-Bergland

Doch der Reihe nach. Gehen wir auf die allerersten Anfänge des Eisenerzabbaus und seiner -verhüttung zurück, die in unserer Heimat mindestens drei, vier Jahrhunderte vor Christi Geburt zu suchen sind, und die sich in den technischen Grundzügen bis zum späten Mittelalter kaum ändern sollten.

Waffen und Werkzeuge wurden im Lahn-Dill-Bergland schon vor weit mehr als zweitausend Jahren hergestellt, von einer damals hier siedelnden Bevölkerung, die die Historiker mittlerweile einvernehmlich den Kelten zuordnen. Man weiß dies aus Bodenfunden von den prähistorischen Höhensiedlungen „Heunstein" (auf dem Höhenzug zwischen der Dillenburger Kernstadt und den Stadtteilen Frohnhausen und Nanzenbach gelegen) und der „Burg" (in der Nähe des Dietzhölztaler Ortsteils Rittershausen), wo man die eisernen Geräte bei wissenschaftlichen Grabungen entdeckte.

Wenn auch die daraus zu ziehenden Rückschlüsse noch nicht unbedingt ein rundes Bild abgeben, so lassen sich doch die Anfänge der Eisenproduktion im Lahn-Dill-Bergland (und mit ihm wohl im benachbarten Siegerland) rekonstruieren. Diese werden wohl so ausgesehen haben: Die allerersten Männer, die dieses Können beherrschten, waren im Hauptberuf Landwirte, die, wenn ihnen Ackerbau und Viehzucht - je nach Saison - die Zeit dazu ließen, das an die Erdoberfläche tretende Erz abbauten, um es anschließend in kleinen, kaum mannshohen Öfen unter Hinzufügung von Holzkohlen zu erhitzen und in pures Eisen umzuwandeln.

Noch längst nicht wurden damals genügend hohe Temperaturen erzeugt, die, wie zuletzt in den Hochöfen, das Eisen als flüssigen Stoff herausfließen ließen. Bei Temperaturen, die deutlich unter 1000° Celsius lagen, wurde nur eine zähflüssige Masse, die „Luppe" erzeugt. Immer noch mit unerwünschten Begleitstoffen versehen, musste diese unter hohen Temperaturen weiter geschmiedet werden, um den erwünschten Rohstoff für harte Geräte und Waffen zu gewinnen.

Selbst um die noch vergleichsweise bescheidenen Temperaturen von sieben- bis achthundert Grad Celsius zu erreichen, mussten die „Rennöfen", wie die alten Eisenerzschmelzen genannt wurden, an Hängen aufgebaut werden. Denn hier konnte man die, je nach Jahreszeit, aufsteigenden oder abfallenden Winde nutzbar machen, um für eine nach damaligen Maßstäben optimale Sauerstoffzufuhr zu sorgen. Es sollte noch viele Jahrhunderte dauern, bis man es verstand, diese durch hand- oder fußangetriebene Blasebälge deutlich zu verbessern.

Das zweite unverzichtbare Standortkriterium: In der Umgebung musste genügend Holz vorhanden sein. In Kohlenmeilern wurde dieser Energieträger „veredelt", denn die bei purer Holzverbrennung erzeugten Temperaturen waren nicht annähernd für die Eisenverhüttung ausreichend. Das war viel wichtiger als die Nähe zu den Rohstoffquellen, denn die Menge der zugesetzten Holzkohle war um ein vielfaches höher als die des Erzes. Deswegen war es schon zu vorgeschichtlicher Zeit wesentlich einfacher, den Eisenstein zur Holzkohle zu transportieren als umgekehrt!

Der dritte Standortfaktor: In der Nähe musste Wasser sein. Warum? Das weiß man bis heute noch nicht genau. Vielleicht einfach nur zur Trinkwasserversorgung der frühgeschichtlichen Hüttenmänner, die sich tagelang weit abseits der Siedlungen aufhielten, oder vielleicht auch aus Feuerschutzgründen.

 

Vagabundierende Hüttenmänner

Wenn eine größere Waldfläche für Holzverkohlen gerodet worden war, zogen die Männer einfach weiter, Denn ihre einfachen, aus lehmartiger Masse gemauerten Rennöfen waren sowieso (zumindest in den Anfangszeiten) nur ein einziges Mal zu gebrauchen und mussten dann wieder neu konstruiert werden.

Die ersten dieser Anlagen müssen nah bei den Bodenschätzen gelegen haben, also wohl im Schelderwald, dem Zentrum der hessischen Eisenerzlager, wo der rotgraue Stein an vielen Stellen bis an die Erdoberfläche reicht („beißt", wie der Bergmann sagt) und folglich ohne größere Probleme auch im Tagebau leicht zu gewinnen war.

Für die vor über zweitausend Jahren produzierten Waffen und Werkzeuge aus Eisen müssen die Bäume der unmittelbaren Umgebung als Energielieferanten gereicht haben. Schließ war die Produktmenge noch nicht so groß, als dass es zu großflächigen Kahlschlägen kommen musste, die das Bild unserer Landschaft in der Neuzeit bestimmen sollten - bevor in der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts das neue Verkehrsmittel Eisenbahn den Ruhrkoks als Energiequelle für die heimischen Hüttenleute verfügbar machte.

Auch wenn sie logischerweise vorhanden sein müssen, in dem einst überregional bedeutsamen Rohstoffzentrum zwischen Eisemroth und Nanzenbach, zwischen Hirzenhain und Oberscheld, hat man solche Bodenfunde als Zeugnisse aus der Zeit vor Christi Geburt trotz mittlerweile vielfältiger Bemühungen der Wissenschaftler noch nicht entdeckt.

Betrachten wir den weiteren Fortgang der Geschichte. Obwohl die genannte keltische Bevölkerungsgruppe manchem Nachbarvolk technologisch überlegen war, konnte sie sich doch irgendwann dem Ansturm der aus dem Norden herandringenden Germanen nicht mehr erwehren. Wenn diese auch die vorherigen Siedler überrannten, völlig vernichtet haben sie die Verlierer wohl nicht. Teile der Völkergruppen werden verschmolzen sein, auf diese zwischenmenschliche Weise, die bis in die heutigen Tage hinein immer wieder Sieger und Besiegte zusammen finden lässt.

Nicht nur neue (Lebens-)Partner finden die Menschen dabei; mit ihnen kommen sie auch zu neuen Erkenntnissen - und so werden die germanischen Chatten, die Hessen besiedelten, die Rennofentechnik von den vorherigen Siedlern übernommen haben.

Freilich: Erkenntnisse über wesentliche Entwicklungen in dieser Epoche fehlen noch völlig. Erste schriftliche Überlieferungen gibt es aus der Zeit um 800 nach Christi Geburt. Selbst die sind nicht solcher Art, dass sie uns gründliche Aufschlüsse über Entwicklung unserer Wirtschaftsgeschichte der Vor- und Frühgeschichte geben können.

 

Das obere Dietzhölztal als Verhüttungszentrum

Fest steht aber, dass Eisenerzabbau und -verhüttung allmählich auseinander drifteten - sowohl menschlich als auch räumlich. Die Hüttenmänner waren irgendwann nicht mehr die gleichen, die als Bergleute das Erz abgruben. Ebenso bildete sich als eigene Berufsgruppe die der Köhler heraus, die für die Bereitstellung der Energie zuständig waren, und die der Fuhrleute, die dafür sorgten, dass Erz und Holzkohle wieder zusammen kamen.

Was sie bis in die Neuzeit hinein gemeinsam hatten: Fast alle dieser Männer betrieben zunächst einmal Landwirtschaft, zur Grundversorgung für sich und ihre Familien. Frauen und Kinder mussten dabei mitwirken, und so war dafür gesorgt, dass auch in Zeiten wirtschaftlicher Krisen wenigstens das karge Überleben gesichert war. Erst wenn es die Zeit zuließ, gingen sie der anderen Beschäftigung nach: als Berg- oder Hüttenmann, als Köhler oder als Fuhrmann.

Das räumliche Zentrum der Eisenverhüttung verlagerte sich vom Schelderwald in das obere Dietzhölztal. Warum? Absolut schlüssige Ergebnisse kann uns die Wissenschaft noch nicht vorlegen. Holzknappheit nahe bei den Gruben? Ja, vielleicht. Aber vielleicht waren es auch politische Gründe. Etwa der: Die Landesherren verboten infolge vorsorglicher Gedanken um den Fortbestand des Waldes dessen Abholzen, was ein gutes Dutzend Meilen weiter immer noch erlaubt werden konnte. Oder hatte sich hier einfach die Haubergswirtschaft, diese eigentümliche Form der Forstpflege, die es nur in unserer Heimat gab schon so weit entwickelt, dass hier einfach auf wirtschaftlichere Art für den Energieträger gesorgt werden konnte? Oder gab es noch einen ganz anderen Grund - etwa den, dass für die Ummantelung der Rennöfen bestimmte Materialen gebraucht wurden, die nicht überall vorhanden waren?

Da es, wie schon erwähnt, schriftliche Überlieferungen aus dieser frühen Epoche so gut wie nicht gibt, müssen sich die Historiker nahezu ausschließlich auf die Ergebnisse der Bodenarchäologie verlassen.

Deswegen kehren wir an dieser Stelle in die Gegenwart zurück. Denn erst im letzten Jahrzehnt hat man mit systematischen Ausgrabungen mit der Erforschung jener Branche begonnen, die als zwangsläufig notwendige Ergänzung des Erzbergbaus über mehr als zwei Jahrtausende das Wirtschaftsleben unserer Region bestimmte.

 

Ausgrabungen liefern neue Erkenntnisse

Unter der Leitung von Professor Albrecht Jockenhövel und Dr. Christian Wilms forschte ein Team über mehrere Jahre im oberen Dietzhölztal und in einigen benachbarten Gemarkungen. Alte Schlackenplätze wurden lokalisiert und aufgelistet. Daran schlossen oftmals Ausgrabungen mit der gründlichen Untersuchungen der historischen Hüttenplätze an. Finanziert wurde das Projekt von der Volkswagen-Stiftung. Unterstützung erhielten die Münsteraner Wissenschaftler von einem tschechischen Expertenteam und ebenso - keinesfalls in ihrer Bedeutung zu unterschätzen - von heimischen Hobbyhistorikern.

Im Sommer 1993, fast ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der über zweitausend Jahre dauernden Eisenhüttenära in unserer Heimat, endete das Ausgrabungsprojekt vorerst. Über 200 Schlackenplätze waren zuguterletzt ausfindig gemacht worden, von denen nur ein kleiner Teil näher untersucht werden konnte. Nach den historisch schon bekannten Zusammenhängen musste der räumliche Schwerpunkt im Dietzhölztal liegen. Alleine in der Wissenbacher Gemarkung konnten zwanzig Rennofen-Reste ausgemacht werden.

Trotz der vielen Ergebnisse gab es ein negatives Resultat der mehrjährigen Forschungen: Die frühgeschichtliche, die keltische Zeit der Erzverwertung blieb nach wie vor im Dunkeln, trotz vielfältiger Bemühungen. Dennoch schrieb Christian Wilms bereits vor zehn Jahren, im Heimatjahrbuch von 1994: „Was bleibt da noch für die älteren Zeiten übrig? Wir gehen nach wie vor davon aus, dass eisenzeitliche Hüttenplätze existieren, doch die Suche danach entspricht der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen." Optimistisch fügt er an: „Das Auffinden einer gleichaltrigen Anlage zur Eisengewinnung kann eigentlich nur eine Frage der Zeit sein."

 

Zwei Rennöfen im Schelderwald

Freilich gab es auch positive Resultate bei diesen Ausgrabungen. So lieferte ein Fund tatsächlich ein Indiz dafür, dass die frühen Erzschmelzen doch wenigstens teilweise im Schelderwald, also unweit der Rohstoffquellen, gestanden haben müssen. Nur wenige hundert Meter abseits der Schelde-Lahn-Straße, auf halbem Wege zwischen Oberscheld und Hirzenhain, wurde in der Nanzenbacher Gemarkung eine Stelle ausgemacht, wo einstmals gleich zwei Rennöfen in unmittelbarer Nachbarschaft in Betrieb waren. Durch begleitende Keramikfunde konnte dieser Grabungsplatz in das späte Mittelalter eingeordnet werden.

So wie fast immer in der Wissenschaft tauchten auch hier mit der Beantwortung alter Fragen neue auf: Waren die Öfen wechselweise, oder erst der eine und dann der andere im Betrieb? Warum wurden sie mehrere Male - bis dahin eigentlich eher unüblich - an der gleichen Stelle wieder aufgebaut? Waren diese beiden Rennöfen damals nicht eigentlich schon technologisch überholt, weil es anderenorts schon die Erzschmelzen gab, die sich die Wasserkraft nutzbar machten?

Der andere außergewöhnliche Ausgrabungsplatz lag wiederum inmitten der historischen Verhüttungsstätten im Dietzhölztal. Denn da, wo man zunächst anhand der früheren Funde auch einen der vielen Rennöfen vermutete, kam schließlich etwas ganz anderes an das Tageslicht des zu Ende gehenden zwanzigsten Jahrhunderts: die Reste einer Schmiede, die anhand der Begleitfunde in das 13. Jahrhundert datiert werden konnte.

 

Gründliche Arbeitsteilung schon im Mittelalter

Was man wiederum aus diesen Funden schließen konnte: Hier wurden aus den Rohluppen der umgebenden Rennöfen bei Temperaturen um tausend Grand Celsius Verunreinigungen als Schlacke ausgetrieben. Rohprodukte von hoher Qualität entstanden somit an diesem Ort, aber keineswegs fertige Gebrauchsgegenstände. Die wiederum wurden in Schmieden ganz woanders vollendet.

Die Schlussfolgerungen daraus: Zwar hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt die Techniken der Eisengewinnung und -verarbeitung, die um 1200 immerhin schon eine Tradition von fast siebzehn-, achtzehnhundert Jahren hatte, gegenüber ihren Anfängen in grauen Vorzeiten prinzipiell kaum verändert. Jedoch war es mittlerweile innerhalb dieses Produktionsprozesses zu einer grundlegenden Arbeitsteilung gekommen.

Bei den Männern, die im Schelderwald nach dem Eisenstein gruben, den „Waldschmieden", die die Rennöfen vornehmlich in den Wäldern links und rechts der Dietzhölze betrieben, und den Schmieden, die die Luppe wie hier beim heutigen Wissenbach weiter veredelten, handelte es sich nicht mehr wie in der Zeit vor Christi Geburt um die selben Personen. Ebenso könnten sich in jenen Jahrhunderten durchaus schon die Köhler, also die damaligen Energielieferanten, sowie die „Transportunternehmer", die das Erz auf Eselsrücken, vielleicht auch schon mit Fuhrwerken, zu den Hüttenplätzen brachten, als selbstständige Berufsgruppen herausgebildet haben.

Nicht nur wegen solcher Aufschlüsse war das historische Bodenrelikt von Wissenbach eine kleine wissenschaftliche Sensation unter den Experten. Seinesgleichen hatte man bis dahin höchst selten in Mitteleuropa gefunden und in Deutschland selbst völlig vergeblich gesucht.

Zurück zur Entwicklung der Öfen. Die Technologie, die bereits die Kelten zur Eisenherstellung beherrschten, blieb in ihren Grundzügen bis ins Mittelalter bestehen. Bis ins 13. Jahrhundert, je nach Region auch bis ins 14. Jahrhundert, wurde in den allenfalls gut mannshohen Rennöfen im direkten Verfahren die „Luppe", ein schmiedbares Eisen, gewonnen.

Danach wandelte sich die Technologie, äußerlich erkennbar vor allem am Wachsen der Öfen. Es begann die Zeit der „Massenhütten", die bis ins 17. Jahrhundert dauern sollte. Das Roheisen, das diese Anlagen, die auch „Stuck"- oder „Stücköfen" genannt wurden, fortan lieferten, wurde im indirekten Verfahren gewonnen. Es war kohlenstoffreich und machte somit einen weiteren Arbeitsschritt, das „Frischen", erforderlich.

Bis zu fünf Meter hoch waren jetzt die Öfen. Nicht mehr aus einer Lehmwand, sondern aus Mauerwerk wurden die Ofenschächte hergestellt. Hangwinde, wie bei den Rennöfen, reichten freilich nicht mehr zu deren Betreiben aus. Für die Sauerstoffzufuhr wurden jetzt Gebläse genutzt, vielleicht zunächst noch von menschlicher Kraft betrieben. Aber der Schritt zu den Blasebälgen, die mit Wasserkraft bewegt wurden, war ein rascher.

Die einstmals „vagabundierenden" Hüttenleute, die einfach weiterzogen, wenn die Standortbedingungen nicht mehr stimmten, mussten somit zwangsläufig fortan äußerst standorttreu werden. In die Täler mit den Flüssen und den größeren Bächen zogen sie. Damit waren die Hüttenplätze für viele Jahrzehnte, wenn nicht für Jahrhunderte festgelegt. Darüber gibt es alte Dokumente: 1443 werden Hütten bei Eisemroth und Steinbrücken urkundlich vermerkt, zwei Jahre später solche bei Oberscheld und Dillenburg („Hüttenplatz"!) 1447 werden die von Wissenbach und Haiger erstmals genannt, und abermals zwei Jahre später die von Ewersbach.

Der Münsteraner Wissenschaftler Albrecht Jockenhövel, der die erwähnten Ausgrabungen im Dietzhölztal und im Schelderwald leitete, sieht darin die Keimzelle der bis ins letzte Jahrhundert „florierenden Industriegassen", die sich an Dill und Dietzhölze entwickelten. Die Eisenprodukte, die Jahrhunderte später hier hergestellt werden sollten, vor allem die Öfen und Herde, entwickelten Weltruf, schreibt er in einem Beitrag zu dem Buch „EISENLAND – zu den Wurzeln der nassauischen Eisenindustrie", das 1995 als Begleitkatalog zu einer Sonderausstellung im Museum Wiesbaden erschien. Firmen wie BUDERUS, JUNO und HAAS & SOHN produzierten später an diesen uralten Industriestandorten.

Festgelegt waren die Standorte jetzt nicht nur, weil es wesentlich aufwändiger geworden war, die komplizierter gewordenen Konstruktionen zu verlagern. Ein anderer Faktor gab einen größeren Ausschlag für die Standorttreue. Bäche die genügend Wasser führen, gibt es im Lahn-Dill-Bergland seit jeher nur wenige. Obendrein wollten das fließende Nass ja noch Berufsgruppen nutzen: die Müller zum Antrieb ihrer Mahlwerke und vor allem die vielen Bauern, wenn sie in regenarmen Sommern ihre Wiesen bewässern wollten.

Mit dieser Vielfalt von Interessenkonflikten hatten sie zwangsläufig zu leben. Deswegen regelten schon früh von den Landesherren erlasse strenge Wasserrechte, wer wann und wo den Nutzen aus den Bächen ziehen durfte. Für die Hüttenmänner hatte das freilich zur Konsequenz, dass sie manches Mal in heißen Sommermonaten ihre Produktion einzustellen hatten. Auch wenn vielleicht an ihren Öfen noch genügend Wasser vorbei floss, so hatte die Sicherstellung der Nahrungsmittel damals doch eine höhere Priorität.

Doch zurück zum eigentlichen Thema, der Eisenverhüttung. 1587 wurde der erste Hochofen im heimischen Revier errichtet, der auf der Ewersbacher Neuhütte. Im 19. Jahrhundert wuchsen die Öfen noch einmal deutlich in die Höhe. „Am Ende der Entwicklung stehen dann die echten ‚Hochöfen' (bis über 10 m Höhe), die, zuletzt mit allen technischen Feinheiten ausgestattet, jahrzehntelang gefahren werden konnten", schreibt Jockenhövel dazu in dem bereits erwähnten wissenschaftlichen Aufsatz.

Was sich freilich von den Anfängen der Eisenverhüttung in vorchristlicher, keltischer Zeit bis zu diesem Zeitpunkt nicht geändert hatte, war der Energieträger: ausschließlich Holzkohle, hergestellt in den Meilern der Umgebung, für die die umgebenden Wälder als Lieferanten dienen mussten.

Doch gegen die Konkurrenz der mit Koks befeuerten Hochöfen, die in den Industriezentren, wie dem Ruhrgebiet schon seit Jahrzehnten auf ihre „Hüttenreise" gingen, konnten die heimischen Anlagen gerade mal so lange bestehen, bis die Eisenbahn als Massentransportmittel auch das Dilltal erreicht hatte. 1862 war die Linie von Köln über Dillenburg nach Gießen fertig gestellt. Auch wenn sich der Technologiewandel damals nicht annähernd so schnell vollzog wie heute – nach dreieinhalb Jahrzehnten waren die Zeit für die letzten beiden Holzkohle-Hochöfen, die in Burg und in Eibelshausen produzierten, abgelaufen.

 


 

Literatur:

1. Vom Ursprung und Werden der Buderus'schen Eisenwerke, Wetzlar 1938, Band I und II.
2. EISENLAND – zu den Wurzeln der nassauischen Eisenindustrie (Begleitkatalog zur Sonderausstellung der Sammlung Nassauischer Altertümer im Museum Wiesbaden, 29. Januar – 23. Juli 1995), herausgegeben von Bernhard Pinsker, Wiesbaden 1995.

Anmerkung:

Dieser Beitrag erschien im „HEIMATJAHRBUCH für das Land an der Dill im Lahn-Dill-Kreis" 2004, Verlag Weidenbach, Dillenburg