Dillenburg-Oberscheld. Wann haben die Bergleute in unserer Heimat ihr erstes eigenes Fest gefeiert? Vermutlich sind die Bergfeste so alt wie der Bergbau selbst. So wie in der Neuzeit, so waren sie höchstwahrscheinlich schon in der Vorgeschichte verknüpft mit religiösen Riten.

Die Kelten, die vor über zwei Jahrtausenden an Dill und Dietzhölze nachweislich Eisenerz abbauten und verhütteten - werden sie nicht auch dafür ihre kultischen Opfer gebracht und gefeiert haben? Auf dass die Bodenschätze nicht ausblieben? Auf dass sie den Gefahren des Bergbaus immer wieder trotzen konnten? Auf dass der ihnen auch in Zukunft den Wohlstand sicherte, der deutlich besser war, als der ihrer Vorfahren?

Schriftliche Aufzeichnen darüber haben sie genau so wenig hinterlassen, wie die germanischen Stämme, die sich später zwischen Sieg, Dill und Lahn niederließen. Schon vor Jahrhunderten war der Heilige Abend der Arbeitstag, an dem die Bergleute früher als sonst das Dunkel der Erde verließen und das höchste christliche Fest mit einem Gottesdienst einleiteten. Hinzu kam der freie Fastnachtsdienstag, den die Knappen „mit gemeinsamen Kirchgang, deftigem Schmaus und fröhlichem Treiben begingen", wie der begnadete Heimatforscher Dr. Karl Löber herausfinden konnte. Und es gab den Barbara-Tag, zu ehren der Schutzpatronin der Bergleute, der offenbar noch lange nach der Reformation auch in unserer Region immer wieder begangen wurde.

Zumindest am Ende der nassauischen Herrschaft hatten die Knappen zudem ihren eigenen Sonntag im Sommer. „Dem Bergmanne nach seiner harten und schweren Arbeit auch einige Vergnügungen zu gewähren und ihm den Geist der Kameradschaftlichkeit und Einigkeit zu beleben und zu stärken", war sein Zweck, wie das heimische Kreisblatt in der 51. Ausgabe des Jahres 1868 bilanzierte.

Dass die neuen preußischen Landesherren, die Nassau nach dem zwei Jahre zuvor gewonnenen Krieg gegen Österreich annektiert hatten, diesen alten Brauchtum fortführen wollten, war der Anlass für den Rückblick der damaligen Lokalzeitung.

Ob es den Bergmannssonntag fortan jedes Jahr gab, wie der gute Vorsatz lautete, mag bezweifelt werde. Schließlich erlebten die heimischen Gruben im zu Ende gehenden 19. Jahrhundert schwere Absatzkrisen. Fest steht, dass über Jahrzehnte nur die Bediensteten der staatlichen Betriebe in den Genuss des Festes kamen - und das waren damals der „Königszug" und der „Beilstein, die beide in dem Gemarkungsdreieck zwischen Eibach, Nanzenbach und Oberscheld abbauten.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der „Beilstein" die fortschrittlichste der heimischen Zechen. Technische Neuerungen wurden zuerst hier eingeführt - von der ersten Grubenbahn 1848, die freilich noch im wahrsten Sinne des Wortes von Pferdestärken bewegt wurde, bis zur ersten Seilbahn, die das Erz ab 1880 zur Scheldetal-Eisenbahn beförderte.

Klar, dass das sommerliche Bergmannsfest im Jahre 1868 nur hier stattfinden konnte. Angeführt von Steigern und einer Kapelle marschierten mehrere hundert Knappen auf dem Festplatz ein. Berginspektor Kayser und Oberinspektor Samer hielten die Ansprachen, bevor sich die Besucher der Musik und dem Tanz, der Wurst und dem Bier hingeben konnten. So sollten die „Wurstfeste", wie sie bald im Volksmund hießen, auch in den Folgejahren aussehen.

Wenige Jahre danach, im jungen Kaiserreich, wurde der Termin in den Spätsommer verlegt, um die Bergfeste mit dem „Sedanstag" zu verknüpfen, der Erinnerung an die Schlacht bei diesem französischen Städtchen am 1. und 2. September 1870. Die Ironie der Geschichte: Gerade der siegreiche deutsch-französische Krieg machte den heimischen Gruben in den Jahrzehnten danach viel zu schaffen. Die hochwertigen lothringischen Erze, die sei 1871 in deutscher Hand waren, trugen erheblich zu den Absatzschwierigkeiten der heimischen Bodenschätze bei.

Wen wundert es da, dass Bergrat Fliegner beim Wurstfest von 1895 die Anwesenden auf dem „Beilstein" beschwören musste, „ihren guten Ruf zu bewahren und sich fernzuhalten von den sozialdemokratischen Bestrebungen, die viel versprechen, aber nichts zu halten vermöchten"?!

Indes: Mehr als diese pathetischen Worte werden damals Freibier und -zigarren, Wurst und Brot bei den Knappen und ihren Angehörigen dazu beitragen haben, dem Kaiser treu zur Seite zu stehen.

Dank anderer Verhüttungstechniken fanden die heimischen Erze nach der Jahrhundertwende neue Absatzwege. Ein bescheidener Wohlstand kehrte ein in den Dörfern ringst um den Schelderwald. Die Bergleute hatten wieder Grund zu feiern.

Doch diese Ära dauerte nicht lange. Auch wenn die Abbautonnagen in den Jahren nach 1914 noch weiter klettern sollten, gab es nichts mehr zu feiern, als die Kollegen, die gestern noch mit in Berg einfuhren, in den Schützengräben irgendwo zwischen Verdun und der Champagne verbluteten.

Auch nicht mehr in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg. Denn die deutschen Hochöfen bezogen ihre Erze jetzt irgendwo aus dem Ausland, wo sie weit kostengünstiger abgebaut werden konnten. Viele von den Männern aus den Schelderwald-Dörfern, die ihren Kopf für den Kaiser hingehalten hatten, waren schon lange arbeitslos, als man woanders in Deutschland von den „Goldenen Zwanzigern" sprach.

Gefeiert wurde erst wieder in der Nazi-Zeit. Dass die Bergfeste für die Hitler-Schergen ein Teil ihres Programms war, die Knappen ideologisch auf den nächsten Weltkrieg vorzubereiten - wer wollte das schon wahr haben, als es endlich wieder Arbeit gab?

Noch einmal sollte es eine Nachkriegszeit für die Schelderwaldgruben geben. Noch einmal ging es für einige von ihnen deutlich aufwärts. Vor allem für den „Königszug", die größte Grube, die jemals in Hessen in Betrieb war. Technisch wurde sie auf Vordermann gebracht.

So wie ein Jahrhundert zuvor auf der Nobelzeche „Beilstein", so war das Gelände am Ostschacht den „Königszugs" in den 50er und 60er Jahren der Ort für die „Wurstfeste". Das Seilziehen zwischen Steigern und Hauern wurde zu einem ihrer Programmpunkte, die Tradition bekommen sollten.

Schon bevor die letzte Förderschicht auf dem „Königzug" im Jahre 1968 gefahren wurde, schliefen die Feste der Bergleute ein. Erst zwanzig Jahre später lebten sie wieder auf. Seitdem finden sie wieder alle zwei Jahre auf dem Gelände der einstigen Grube „Auguststollen" statt. Von denen, die noch das Arbeitsleben unter Tage kennengelernt haben, sind nicht mehr viele übrig geblieben. Aber diese finden sich gerne an diesem Tage ein.

 

Eine Galerie mit Bildern vom Bergmannsfest 2014 finden Sie hier: Bergmannsfest 2014 - Galerie