Dillenburg-Nanzenbach. 1962 wurde die Nanzenbacher Eisenerzgrube „Neue Lust“ stillgelegt. Auch wenn es noch elf Jahre dauern sollte, bis auf dem „Falkenstein“ die letzte Förderschicht in unserer Heimat überhaupt gefahren werden sollte, so läutete das Ende der „Neuen Lust“ auch das Aus für eine Technologie ein, die über acht Jahrzehnte das Landschaftsbild des Schelderwaldes geprägt hatte. Unter der Überschrift „Abschied von der Drahtseilbahn“ blickte die Werkszeitschrift „Die Berghütte“ im März 1963 darauf zurück, denn die Maste und Seile dieses Transportmittels sollten jetzt abgebaut werden.

Lange waren es von Pferden gezogene Fuhrwerke gewesen, die das Erz zu den Hochöfen brachten. Die befanden sich im neunzehnten Jahrhundert alle recht weit entfernt von den Bergwerken. Die im oberen Dietzhölztal, zwischen Eibelshausen und Ewersbach, gehörten noch zu den näher gelegenen. Andere verhütteten die Eisenstein am Oberlauf der Lahn, die Ludwigs- und die Wilhelmshütte etwa.

Tagereisen waren da für die Fuhrleute oft angesagt, so wie heute für die Trucker, wenn sie mit ihren Lastzügen Frachten quer durch Mitteleuropa transportieren. „Die Fuhrwege liefen fast alle durch die anliegenden Ortschaften und beschädigten die seinerzeit noch nicht befestigten Straßen. Ältere Einwohner wissen noch zu berichten, dass die Wegewärter planmäßig große Steinbrocken auf die Fahrbahn legten, um so die Fuhrleute zu zwingen, von der eingefahrenen Spur abzuweichen“, blickte die „Berghütte“ auf diese Ära im vorletzten Jahrhundert zurück. Gerade mal vier Tonnen konnte ein solches Fuhrwerk laden; kein Gefährt also, das den technischen und wirtschaftlichen Anforderungen noch allzu lange gewachsen sein konnte.

Nachdem 1872 die Gleise der Eisenbahn in den Schelderwald verlegt worden waren, war vieles leichter geworden. Aber dennoch förderten viele Gruben weiterhin meist mehrere hundert Meter, wenn nicht gar einige Kilometer abseits der damaligen Endstation „Nikolausstellen“ den Bodenschatz zutage.

Genau acht Jahre später wurde ein neues Transportmittel erprobt: die Seilbahnen. 1880 wurde die erste im Scheldetal gebaut. 114 Meter war sie kurz und führte vom „Beilstein“ der damals modernsten Zeche unserer Region, zum Bahnhof „Wilhelmstollen“. „Eine Anzahl von Vorteilen“ bot sie, wie die „Berghütte“ feststellte: „Durch weitgehende Anpassung an alle Geländeverhältnisse in der Ebene und im Gebirge können ohne Schwierigkeiten freie Spannweiten über Täler und Flüsse überbrückt und Steigungen bis zu 45° überwunden werden. Der Betrieb einer Seilbahn ist auch unabhängig von der Jahreszeit, dem Klima und der Witterung. Nur bei einer gewissen Sturmstärke muss der Betrieb eingestellt werden. Zur Bedienung sind nur wenige Hilfskräfte erforderlich, und in vielen Fällen ist überhaupt keine Antriebskraft notwendig, ja sogar ein Kraftüberschuss vorhanden.“

Doch trotz dieser Einsichten setzten sich damals neue Technologien nicht annähernd so schnell durch wie heute. Erst 1901 folgte die immerhin schon 380 Meter lange Bahn zwischen der Grube „Königszug“ und dem Bahnhof „Nikolausstollen“. Die nächste, ab 1906 betriebene Seilbahn sollte zur längsten im Schelderwald: Vom „Stillingseisenzug führte sie bis zum Oberschelder Hochofen, der seit einem Jahr in Betrieb war.

Ab 1912 beförderten Seilkästen das Eisenerz von dem unweit des heutigen Nanzenbacher Fußballplatzes gelegenen „Friedrichszug“ zu einer Verladeanlage am Bahnhof Herrnberg, die die Firma Buderus dort errichtet hatte, von der noch die Schrauben der Seilbahnverankerung vorhanden sind. Über die Straße führte eine eigene Sicherungsbrücke. Ob sie vorrangig dem Schutz der darunter fahrenden Autos diente, oder ob Buderus damit bezwecken wollte, dass bloß kein herabfallender Erzklumpen von der Konkurrenz, dem Hessen-Nassauischen Hüttenverein verwertet werden konnte - darüber kann heute nur noch spekuliert werden.

1916 wurde die „Neuen Lust“ ebenfalls angebunden. Ein Jahr später wurden die Maste zwischen dieser Grube und der „Amalie“ bei Hirzenhain aufgestellt. Doppelter Druck machte diese Investition gerade jetzt, mitten im Ersten Weltkrieg, notwendig. Zum einen war das Eisenerz bei den Materialschlachten an der Westfront von kriegsentscheidender Bedeutung. Zum anderen waren hier Unmengen von Pferden im Einsatz - die als Zugtiere in der Heimat fehlten.

Als letzte Zeche erhielt 1920 der „Stillingseisenzug“ Seilbahnanschluss an die zentrale Aufbereitung am „Herrnberg“. Da begann schon längst wieder eine Flaute für den heimischen Bergbau. Aber der Erztransport in den Seilkästen hatte sich gegenüber dem in den Fuhrwerken als deutlich billiger erwiesen. So sollten sie fortan noch mehr als vier Jahrzehnte über den Wipfeln der Buchen, Eichen und Fichten des Schelderwaldes laufen.

Dass trotz strenger Verbote auch schon mal der ein oder andere Mitarbeiter im Seilkasten Platz nahm, um die Strecke nicht zu Fuß gehen zu müssen, gab dann auch die „Berghütte“ bei ihrem Rückblick zu. „Wir nehmen Abschied von der Drahtseilbahn, einem Transportmittel, das früher modern und wirtschaftlich war, heute aber bei unserer Firma der Vergangenheit angehört und aus unserem Blickfeld verschwunden ist“, schrieb die Zeitung.

Erinnerungen daran können wir heute noch finden: Die Masten, die halfen, ganze Täler und Höhen zu überwinden, ruhten auf soliden Sockeln. Diese Fundamente finden sich heute noch überall im Schelderwald.