herbert-schmidSolche Bilder von Industrieanlagen sieht man nicht oft, wie die, die Herbert Schmid vom Oberschelder Hochofen gemacht hat. Die Farbfotos etwa, die an einem kalten Winterabend entstanden, nachdem in den Tagen zuvor Schnee gefallen war. Dass gerade ein Abstich erfolgt ist, sieht man am rotglühenden Schein, der aus dem Inneren der Halle nach draußen dringt. Die Lampen, die für die Arbeiter der Spätschicht unentbehrlich sind, sorgen für romantische Stimmung, genau so wie der beleuchtete Weihnachtsbaum, der auf einem der Winderhitzer befestigt ist.

Hat Herbert Schmid den Hochofen geliebt? Diesen Betrieb, der ihm ab dem 27. Januar 1947 für mehr als zwei Jahrzehnte Lohn und Brot geben sollte? So, wie andere ihre Heimat lieben? Oder war er für ihn gar zur Heimat geworden? Die hatte der damals 13-jährige schließlich gerade verloren, ein gutes halbes Jahr vorher.

Weikersdorf hieß das Dorf, wo er im Februar 1932 geboren und dann aufgewachsen war. Das im Altvatergebirge im Sudetenland lag.

Es waren dramatische Zeiten, die er in den letzten Tagen seiner Kindheit hier erleben sollte. Dramatisch und dann doch wieder völlig normal für die letzten Monate des 2. Weltkriegs und für die zwei Jahre danach. Ein Spiegelbild der Geschichte eben, die ganz Europa in diesen Tagen erschütterte und die das politische Bild dieses Kontinents völlig veränderte und dann auf über vier Jahrzehnte festschrieb.

herbert-schmid-hochofen-1Im Jahre 1944 griff der Krieg erstmals richtig in das Leben des damals 12-jährigen ein. Die Front rückte langsam näher. Viele Schulen in seiner Heimat wurden umfunktioniert: Als Lazarette für die verwundeten Soldaten mussten sie herhalten. Zudem gab es andauernd Fliegeralarm. An einen geregelten Unterricht für Kinder war unter diesen Umständen nicht mehr zu denken.

Sein Vater starb in dieser Zeit, aber nicht wegen des Krieges. Ein Magenleiden raffte ihn dahin. Wie grausam der Krieg war, das bekam der Junge aber über seine Mutter mit. Mit sechs Brüdern war sie aufgewachsen. Fünf sollten in dem Krieg fallen, den Adolf Hitler 1939 entfesselt hatte.

Der eigentliche Krieg dauerte für Herbert Schmid kaum mehr als einen Tag, im Mai 1945. Über sein Weigersdorf flogen die Granaten hinweg, als die Artillerie der Roten Armee die Nachbarstadt beschoss. Dann waren die Russen da. „Die Frauen mussten sich vor denen in Acht nehmen. Aber uns Kindern machten sie nichts", erinnert sich Schmid. Im Gegenteil: Das erste Fahrrad, das er jemals besaß, bekam er von einem sowjetischen Soldaten geschenkt. Freilich: Der dürfte es zuvor woanders gestohlen haben.

Es folgte ein Jahr der Ungewissheit. 1945 war das Zusammenleben zwischen Tschechen und Deutschen im Sudetenland noch friedlich, wenn auch nicht immer ohne Zwang. Wie alle Heranwachsenden ab dem zwölften Lebensjahr musste Herbert Schmid den Tschechen in diesem Sommer als Erntehelfer dienen.

Ein Jahr später wurde alles anders. Die Sudentendeutschen bekamen die Rache derjenigen zu spüren, die unter den Nationalsozialisten zuvor gelitten hatten, im „Protektorat Böhmen und Mähren", wie sie das seit 1938 unterworfene Gebiet genannt hatten. In einem Lager hatten sich alle Deutsche einzufinden, lautete eines Tages der Befehl. 75 Kilogramm Gepäck aus ihrem bisherigen Besitz durften sie mit dorthin nehmen. Am nächsten Tag mussten sie in einen Zug einsteigen, mit etwa vierzig Personen in einen Wagon, in dem zuvor Güter und allenfalls Vieh transportiert worden war. Am 11. Juni, nach zwei Tagen, endete die Eisenbahnfahrt.

Herbert Schmid war mit Mutter, Bruder und Großvater im hessischen Burg angelangt. Das Ziel hatten sie beim Antritt der Fahrt noch nicht gekannt. Genau so wenig wussten die vier, wie es jetzt weiter gehen sollte – und noch viel weniger, ob sie jemals die Gegend im Altvatergebirge wiedersehen sollten, die den Schmids seit Generationen zur Heimat geworden war.

herbert-schmid-hochofen-3Vier Wochen lebten sie in dem Lager der Burger Hütte unter jämmerlichen Umständen. Dann wurden sie wie die übrigen tausendzweihundert Personen, die mit dem gleichen Transport in dem Dorf an der Dill angekommen waren, auf die umliegenden Orte verteilt. Die Schmids verschlug es nach Oberscheld. Die „blaue Schule", wie das Gebäude an der Schelde-Lahn-Straße hieß, war die erste Adresse, unter der sie jetzt erreichbar waren. Immerhin: Man hatte jetzt ein ordentliches Dach über dem Kopf. Woher freilich das Essen für den nächsten Tag kommen würde, sollte auch fortan noch genug erst im letzten Moment geklärt werden.

Ein halbes Jahr lang sollte sich an diesem Zustand nicht viel ändern. Dann kam der Tag, der im Lebenslauf fast so wichtig werden sollte wie sein Geburtstag: Am 27. Januar 1947 bekam der heimatvertriebene Junge, der das vierzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht hatte, Arbeit. Am Hochofen, der Leben von Oberscheld schon über vier Jahrzehnte geprägt hatte. Seit dem Jahre 1905 wurde er mit dem Erz gefüttert, das die Bergleute aus den umliegenden Gruben des Schelderwaldes zutage förderten.

Das Eisen, das er produzierte, wurde in den umliegenden Gießereien zu Öfen und Badewannen und allerlei anderen nützlichen Gerät verarbeitet wurde. Es trug maßgeblich dazu bei, dass den kleinen Leuten in der Region zu einem bescheidenen Wohlstand verholfen wurde. Ebenso wie der Strom, der mit den Gichtgasen des Hochofens produziert wurde, und der schon vor dem Ersten Weltkrieg die Dörfer der Umgebung mit elektrischen Licht versorgt hatte. Selbst aus der Schlacke, eigentlich ein Abfallprodukt bei der Eisenerzeugung, hatten die Ingenieure und Techniker dieser Hütte an der Schelde ein verkaufsfähiges Produkt herzustellen gewusst: Als Baustoff fand sie Verwendung.

In der Werkstatt dieses Hochofens fand er jetzt seinen ersten Arbeitsplatz als Hilfsschlosser. „52 Pfennig betrug damals mein erster Stundenlohn", das weiß der Rentner heute noch. Von sechs bis fünfzehn Uhr dauerte die Schicht. Sechs Tage in der Woche, denn der Samstag war damals noch ein völlig normaler Arbeitstag.

Gemessen an den vielen Tonnen Roheisen, die noch bis kurz vor Kriegsende täglich am Hochofen in Eisenbahnwagons verladen wurden, war sein Beitrag zum Wiederaufbau Deutschlands zunächst ein sehr bescheidener. Schmid musste wochenlang alte Schrauben gangbar machen. Wichtig war die Arbeit dennoch, damit den Produktion wieder anlaufen konnte. Ersatzteile für die Maschinen auf dem Markt zu bekommen, war 1947 schließlich noch ein hoffnungsloses Unterfangen.

Sonntag war die Gelegenheit für Extra-Schichten. Wagons auszuladen, war da meistens angesagt. Schrott und Koks, mit dem der Möller des Hochofens beschickt wurde, hatten sie gebracht. Schmid erinnert sich: „Die Überstunden wurden extra bezahlt, manchmal auch mit einem Sack Zement. Den konnte man womöglich bei den Bauern eintauschen, die mit Erbsen und anderem Essbaren aus der Wetterau kamen." Als die Lebensmittel, die einem damals offiziell zustanden, noch über Essenmarken rationiert waren, schuf das zusätzliche Sicherheiten für den Magen.

Wie so viele der jungen Heimatvertriebenen, die es in den Dillkreis verschlagen hatte, war Herbert Schmid bald im Leben seines Dorfes integriert. Das schuf neue Chancen, auch für Jobs. In Oberscheld hatte sich Heinrich Lommel als Schlossermeister selbstständig gemacht. Der gab jetzt Herbert Schmid die Gelegenheit, nach der Schicht am großen Ofen noch zusätzliche Stunden zu arbeiten.

Auf den umliegenden Gruben gab es allerlei Maschinen zu reparieren, ebenso wie an den Bohrtürmen, mit deren Hilfe im Schelderwald systematisch nach neuen Erzlagern gesucht wurde. Bis Mitternacht konnte er da schon mal in Lommels Auftrag unterwegs sein. Als fahrerbarer Untersatz diente ihm manchmal ein Kettengrad. Dieses urige Gefährt, das vorne mit einem lenkbaren Rad wie jedes Motorrad auch und hinten mit zwei kurzen Ketten wie ein Mini-Panzer ausgestattet war, war aus Wehrmachtsbeständen in den Besitz seines Chefs gelangt.

„Von dem habe ich viel gelernt", blickt der Mann heute zurück. Auch simplere Arbeiten gehörten dazu. Etwa, wie man aus drei alten, porösen Fahrradschläuchen einen neuen intakten machen konnte. Davon profitierte unter anderem der alte Doktor Sturm, wenn der seine Patienten zu Hause besuchen musste. Von Lommel bekam der Oberschelder Hausarzt dann auch sein erstes Auto nach dem Kriege, einen alten DKW. Herbert Schmid hatte mitgeholfen, daraus wieder ein funktionstüchtiges Fahrzeug zu machen.

Ein gutes Abendessen, das war da manches Mal sein Lohn. Jedenfalls bis zur Währungsreform. Die noch vorhandene Reichsmark bot nicht viel Gegenwert.

Das war nicht das einzige, was sich nach dem 20. Juni 1948 ändern sollte, als die neue D-Mark eingeführt wurde. Schlagartig waren die Regale in den Geschäften gut gefüllt. Das neue Geld war überall gerne gesehen. Ebenso schnell wuchsen die Gelegenheiten, sich welches zu verdienen.

Wagons über Wagons kamen am an der Oberschelder Hütte an. Zum Beispiel die Reste der Brücken, die der Krieg am Rhein zerstört hatte. Größere Teile der Ladungen mussten noch zerschnitten und zerlegt werden, damit sie überhaupt in die Gicht des Hochofens passten. Beim Entladen aus den Wagons halfen einfache Kranausleger, die die Hochofenarbeiter aus Holzstämmen selbst hergestellt hatten. Das Entladen und das dann folgende Zerschneiden der großen Eisenteile, das war eine der Gelegenheiten für Überstunden, die extra bezahlt wurden.

Zu dem Ladegut der Schrottwagen gehörten oft genau auch Munitionsreste. Dass die auch drei Jahre nach dem Ende Krieges noch nicht ganz ohne waren, erfuhr Herbert Schmid an einem Nachmittag im Sommer dieses Jahres. Zu Fuß war er nach Niederscheld unterwegs, wo sonntags in einem kleinen Kino Filme vorgeführt wurden. Da hörte er vom Hochofen her einen lauten Schlag. Die Ursache: Im Schrott, mit dem die Anlage gerade gefüttert worden war, war dieses Mal auch eine komplette, noch scharfe Granate gewesen. Sie riss ein ordentliches Loch in die Wand des Ofens. Freilich: Das war schon bald wieder repariert, ohne dass noch viel Aufhebens um dieses Ereignis gemacht wurde. Es war eben ein Ereignis, das zum Alltag derjenigen Zeit gehörte, als der Krieg zwar längst vorbei war, seine Folgen aber immer noch das Leben bestimmten.

Schrott schneiden, das sollte noch lange die Arbeitstage von Herbert Schmid bestimmen. Aber der technisch begabte junge Mann erledigte auch andere Aufgaben, oft auch bei den Überschichten. Er fuhr die große alte Gebläsemaschine und arbeitete im Kesselhaus. Später war er auch mit dem Reparieren der Armaturen beschäftigt, und er war Gerätewart bei der Werksfeuerwehr. „Ich kam überall hin, und ich hatte Förderer", erinnert er sich. Der Meister Kaiser war einer davon So eignete sich der junge Mann, der in den Nachkriegswirren keine Chance hatte, eine Lehre zu beginnen, das notwenige Know-how an. „Learning by Doing", heißt das heutzutage.

In den 50er Jahren nahm das Leben zunehmend geordnete Formen an, überall in der jungen Bundesrepublik. Die Wirtschaftswunderjahre standen bevor, auch in Oberscheld am Hochofen. Trotzdem gab es noch Ereignisse, die solcherart in einem vergleichbaren Betrieb heutzutage fast unvorstellbar sind. Das mit dem Dampfkran etwa, der rückwärts in den Kühlturm gefahren war, und der dann mit Holzmasten wieder geborgen wurde. Oder die Geschichte von der Hochofenlok. Als der Führer aus Jux mit einer Bundesbahn-Lok, die auf dem parallel laufenden Gleis fuhr, zu einer Wettfahrt ansetzte – und dabei vergaß, dass diese zwangsläufig mit einer Kollision auf der diese Schienen verbindenden Weiche enden musste.

So, wie der Job sicherer, die Löhne besser wurden, so wurde der Alltag in der Oberschelder Eisenhütte dennoch strenger. Arbeitsplatzbewertung, das war ein neues Wort, mit dem die Beschäftigten jetzt konfrontiert wurden. In der Folge gab es auch Rationalisierungen: Arbeitsplätze wurden gestrichen.

Dennoch gab es auch dieses, sogar bis zur Stilllegung des Betriebes im Jahre 1968: Getränkeautomaten, aus denen die Arbeiter auch Bier ziehen konnten. Fünfzig Pfennig kostete die Flasche. Was heute unvorstellbar und überall streng verboten ist, regulierte sich damals bis zu einem gewissen Grade offenbar weitgehend von alleine. Denn Kollegen, die am Arbeitsplatz durch Trunkenheit auffielen, waren die große Ausnahme, wie Schmid sich erinnert.

Der Wohlstand kam also, die Wirtschaftswunder-Ära der jungen Bundesrepublik. Herbert Schmid verdiente jetzt so viel Geld, dass er mehr in sein Hobby investieren konnte. Die Leidenschaft für die Fotografie war schon in seinen jungen Jahren geweckt worden. Kurz nach der Währungsreform im Jahre 1948 hatte er die erste Kamera gekauft. „Bei Foto-Wissenbach in Herborn, für neun Mark und ein paar Pfennige", erinnert er sich. Dass er die Schwarz-Weiß-Bilder, die er damals schoss, selbst entwickelte, gehörte für ihn dazu. Ebenso faszinierte ihn die Technik der kleinen Geräte. Er arbeitete sich gut in sie ein, dass er schließlich in der Lage war, manche Reparatur selbst vorzunehmen.

Dass ein Fotoapparat dazu gehört, das wurde bei den meisten seiner Zeitgenossen in den 50er und 60er Jahren zur Selbstverständlichkeit. Aber die meisten gingen anders damit um als Schmid. Sie hielten das Außergewöhnliche ihres Lebens fest: die Feiern und die Urlaubsreisen. Aber kaum das alltägliche Leben. Das machte der Oberschelder. So wie er das Hobby zur Perfektion entwickelte, so wurde er dabei sensibel für die gewöhnlichen Ereignisse. Und so hielt er die Geschehnisse am Hochofen fest. Es entstanden die Bilder dieser Eisenhütte an den bitterkalten Wintertagen, die heute zu den schönsten von dieser ehemaligen Industrieanlage überhaupt gehören.

Wer die wirtschaftliche Entwicklung damals sensibel mitverfolgte, konnte ahnen, dass diese Fotos bald historischen Wert haben würden. Zwar wurde Ende August 1960 der zweite Ofen in Oberscheld nach einem zweimonatigen Stillstand noch einmal auf seine Hüttenreise geschickt. Zwar erreichte er in jenem Jahr seinen Produktionsrekord. Aber werksintern wurde da bei der Berghütte schon längst über Stilllegungen nachgedacht.

So, wie die Welt friedlicher geworden war, so hatten die großen Eisenhütten Deutschlands jetzt problemlos den Zugriff auf die Erze aus Übersee – die trotz der weiten Transportwege weitaus kostengünstiger zu beziehen waren.

„Amalie", „Neue Lust", „Königszug" und schließlich auch „Falkenstein" hatten keine Chance mehr in der Konkurrenz gegen die Bergbau-Giganten in Schweden, Indien oder Brasilien. Auch wenn die Oberschelder Hütte zuletzt sogar auch Erze aus dem indischen Goa verhüttete, verlor sie mit dem Sterben der umliegenden, wenige Kilometer entfernten Gruben im Schelderwald die Grundlagen für ihre Existenz.

Am 21. April 1968 erfolgte der letzte Abstich. 195 Arbeitsplätze waren es insgesamt, die an diesem Frühlingstag von heute auf morgen verloren gingen.

Herbert Schmid hatte da schon seit vierzehn Tagen einen neuen Arbeitsplatz. Auf der „Burger Hütte", einem der Traditionsbetriebe im Dilltal, dessen Existenz auch einmal, wie der im Volksmund haften gebliebene Name „Hütte" verriet, als Hochofenstandort begonnen hatte.

Er gehörte zu denen, die in den Jahrzehnten vor 1900 die Eisenverhüttung aufgeben mussten, da ihre noch mit Holzkohle betriebenen Hochöfen nicht mehr konkurrenzfähig waren, wo wie auch die von Sinn, Niederscheld und Eibelshausen etwa. In reine metallverarbeitende Betriebe, die den Rohstoffe Eisen woanders bezogen, hatten sie sich in der Zeit danach gewandelt. Allerlei nützliche Produkte, die den Lebensstandard steigerten, stellten sie her.

In Burg waren es vor allem die Waschmaschinen. „Vier Monate blieb ich dort. 1500 Waschmaschinen schraubte ich in dieser Zeit zusammen", erinnert sich der Oberschelder an diese Zeit. Doch die monotone Tätigkeit und der Akkord, das war nichts, bei dem er sich wohl fühlte. Und so kam der Hinweis zur rechten Zeit, doch bei den Stahlwerken Südwestfalen, die ein Jahrzehnt zuvor am Ortsrand von Dillenburg ein großes Werk errichtet hatten, einfach mal anzufragen.

Nachdem er sich beim zuständigen Meister Manfred Beermann vorgestellt hatte, konnte er wenige Tage später hier anfangen. Die Kenntnisse, die er sich in den zwei Jahrzehnten am Hochofen angeeignet hatte, waren ihm fortan wieder äußerst nützlich. Als Maschinenwärter arbeitete er zunächst, und später in einer fünfköpfigen Gruppe, die im Werk als „Vorbeugende Instandhaltung" bezeichnet wurde. Dass die Kräne und andere Maschinen funktionierten, lautete ihr Auftrag, und dafür waren sie fast die ganze Schicht über in den großen Werkshallen unterwegs.

Achtzehn Jahre blieb er hier, fast so lange wie am Hochofen. 1986 schickte ihn die Konzernzentrale in den Vorruhestand, mit 56 Jahren, wie so viele seiner Kollegen auch, und mit 60 wurde er offiziell Rentner.

Jetzt hatte er richtig Zeit für sein Hobby, der Fotografie. Im Niederschelder Fotoclub, der einen Ruf weit über sein Dorf hinaus erhalten sollte, engagierte er sich. Mit Günter Heine, seinem langjährigen Vorsitzenden, stellte er mehrere Tonbildserien zusammen über die heimische Wirtschaftsgeschichte. Da waren seine Fotos aus den 60er Jahren hochwillkommen. Gar manchen Abend faszinierten sie einen Saal voller Zuschauer.

Zu den aktiven des Fotoclubs im Nachbardorf gehört er noch immer. Mit der Kamera ist er der Mann, der seit vier Jahren Witwer ist, immer noch unterwegs. So auch damals in der Nacht von Sonntag auf Montag im September 2007, als ein Hochwasser in den Dörfern des Schelderwaldes Millionenschäden anrichtete. Auch diese Fotos bekommen in den Monaten danach Hunderte von Interessenten zu sehen.

Digital zu fotografieren und die Fotos am Computer zu bearbeiten, das ist für ihn heutzutage selbstverständlich. Im Internet dagegen bewegt er sich kaum. Er weiß freilich, dass er beim Surfen hier auf seine Fotos stoßen würde. Hochgestellt wurden sie freilich von Zeitgenossen, die ihn nicht deswegen fragten – ein glatter Verstoß gegen das Urheberrecht. Doch darüber will sich der 79jährige Mann nicht mehr aufregen.

Vielleicht auch deswegen nicht, weil seine Fotos für viele Oberschelder schon längst zum Inbegriff dessen gehören, was Heimat ist?!