Seit unsere Vorfahren systematisch nach den Schätzen im Boden gruben, werden sie als Bergleute auch ihre eigenen Feste und Bräuche gehabt haben.

Die Menschen vor über zweitausend Jahren, die dem keltischen Kulturkreis angehörten und die ein Ringwallsystem in unserer Heimat anlegten, zum Schutz der Eisenerzvorkommen, wie Historiker spekulieren (die „Burg" bei Rittershausen und der „Heunstein" auf dem Höhenzug zwischen Dillenburg, Nanzenbach und Frohnhausen gehörten dazu) – hatten sie wie die ihnen verwandten Völker weiter westwärts in Europa ihre Druiden, mit denen sie in den Hainen ihren religiösen Ritualen nachgingen? Beteten sie dort ihre Götter an, baten sie dabei um Glück für die Suche nach den Erzen, denen sie damals nachgruben, meist nur wenige Meter unter die Erdoberfläche hinein? Wir wissen es nicht und werden es wohl auch nie erfahren. Aber vermuten dürfen wir es.

fasnachtsmaennchen-uli-horch-2012 1 070Wir wissen es auch nicht von den germanischen Stämmen, die anschließend vom Norden her in unsere Heimat vordrangen und den seither hier Siedelnden das Land abnahmen. Mehr wissen wir erst aus der Zeit, als unsere Vorfahren sich dem christlichen Glauben zugewandt hatten. Mönche waren die ersten Schriftkundigen. Sie überlieferten uns Dokumente, aus denen wir allerlei Rückschlüsse ziehen können.

Im Mittelalter hatten die verschiedenen Bevölkerungsgruppen ihre Heiligen. Für die Bergleute war es die Heilige Barbara. Das Fest dieser Märtyrerin aus dem dritten Jahrhundert nach Christi Geburt, die wegen ihres Glaubens zu Tode gefoltert wurde, wurde viele hundert Jahre lang begangen. Am 4. Dezember, in katholischen Gegenden bis zum heutigen Tage, und auch in unserer Region besinnt man sich neuerdings wieder dieses Brauches.

Mit der Reformation wandte man sich im Lande der von Nassau-Oranien allerdings vom katholischen Glauben ab und damit auch von den Patronen. Vollends verlor Sankt Barbara aber nie ihre Bedeutung für die heimischen Knappen. Noch im Jahre 1911 wurde im Dillenburger Kurhaus ihr Fest begangen (1), und es gab bis in die letzten Tage des Bergbaus an Dill und Schelde Bergleute, die – wenn auch evangelischen Glaubens – ihre Töchter deswegen auf den Namen Barbara taufen ließen.

Mit dem katholischen Glauben verlor für unsere Vorfahren, die tief in der Erde nach den Erzen gruben, der Barbaratag an Bedeutung. In die Fastnachtszeit verlagerten sich die Feste nun. Am Fastnachtsdienstag hatten sie lange Zeit ihren freien Tag, „mit gemeinsamen Kirchgang, deftigem Schmaus und fröhlichem Treiben", wie der Heimatforscher Dr. Karl Löber in einer seiner Arbeiten festgehalten hat (2).

An diesem Tage wurden auch die Berufsneulinge in die Zunft aufgenommen. Wie es heute noch bei manchen Handwerkszünftigen üblich ist, waren solche Initiationsriten rau, aber herzlich. In der von Löber zitierten Geschichte eines Nanzenbacher Knappen ist es auch der Höhepunkt, dass sich dieser Neuling schließlich von einem verkleideten Mann, der vorher von seinen Kollegen durchs Dorf geführt wurde, in eine Balgerei verwickelt wird – die in einem Jaucheloch endet. Entsprechend wird seine Montur ausgehen und gerochen haben. Obendrein musste er noch einen ausgeben – aber von jetzt an gehörte er dazu.

fasnachtsmaennchen-uli-horch-2012 1 072Mit den christlichen Erweckungsbewegungen gegen Ende des letzten Jahrhunderts teilte sich wohl das Fastnachtsverhalten. War der Kirchgang und der anschließende Besuch im Wirtshaus ursprünglich für alle eines gewesen, so gab es fortan im Dorfe diejenigen, die in die Kirche oder in die Versammlung gingen, und anderen, die den Vergnügungen im Wirtshaus und auf der Straße frönten.

Noch 1928 gab es in Hirzenhain und in Wissenbach den Bergmannsgottesdienst am Fastnachtsdienstag – „als Gegenstück zum allgemeinen Treiben", wie wir in alten Zeitungen nachlesen können (3). Hundert Jahre alt war diese Sitte damals schon, wie der Zeitungsredakteur bemerkte. In den anderen Dörfern was der fastnächtliche Kirchgang schon vorher verschwunden. Zwei Jahre später wurde er auch in Hirzenhain von der Tagesordnung genommen (4).

Der freie Fastnachtstag wurde offiziell abgeschafft. Die, die noch einem Broterwerb nachgehen konnten, werden es wohl nicht gewagt haben, dagegen zu protestieren. Die Mehrzahl der Knappen war nämlich nach den Krisen in den 20er Jahren, die die Schelderwald-Gruben besonders hart trafen und fast allesamt zum Erliegen brachten, schon längst ohne Lohn. So blieb dem Hirzenhainer Pfarrer nichts anderes übrig, als den Bergmannsgottesdienst auf den folgenden Sonntag zu verlegen.

Es dürfte dennoch auch kein Zufall sein, dass Oberscheld in der allerjüngsten Vergangenheit die Fastnachtshochburg schlechthin im alten Dillkreis war und ist. Auch wenn daran heute kaum mehr erinnert als das alljährliche Anstimmen des „Glück-auf"-Liedes in der gleichnamigen örtlichen Halle – die Beziehung zur Bergbautradition ist doch unverkennbar.

Zu dieser Tradition gehören auch die „Fassenochts"-Männer, die seit langem in Nanzenbach von Haustür zu Haustür ziehen. Mit Masken und Kostümen bis zur Unkenntlichkeit verkleidet, bitten sie um Eier und andere essbare Dinge oder um kleine Geldbeträge. In einer Kneipe wird anschließend alles auf den Kopf gehauen.

Es wäre schön, wenn diese Sitten und Bräuche auch im 21. Jahrhundert noch Bestand haben würden – und dass die dann Lebenden den Bergbau links und rechts der Dill mitsamt seiner Kultur nicht nur aus den Museen und den Geschichten der Lokalhistoriker kennen.

 


 

Quellenangaben:
(1) Zeitung für das Dilltal, Nr. 285, 1911, S. 2.
(2) Dr. Karl Löber, Fröhliche Fastnachtsbräuche der Nanzenbacher Bergleute, in : Heimatjahrbuch 1961, S. 97 – 98.
(3) Dill-Zeitung Nr. 43, 20.2.1928, S. 3.
(4) Dill-Zeitung Nr. 54, 5.3.1930, S. 4.